«Allen eine 13. Rente auszahlen macht wenig Sinn»

10 febbraio 2024 | Schweiz am Wochenende | in tedesco
Intervista: Anna Wanner

SP-Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider erklärt im Interview, wieso der Bundesrat die 13. AHV-Rente sowie die Renteninitiative ablehnt. Sie verspricht zudem, gezielte Lösungen für Rentnerinnen und Rentner mit finanziellen Schwierigkeiten zu finden. Und sie umreisst, wie eine künftige Reform der AHV aussehen könnte.

Zehn Prozent aller Rentenbeziehenden geben an, finanziell nicht über die Runden zu kommen. Die 13. AHV-Rente würde ihnen unmittelbar helfen. Wieso lehnen Sie den AHV-Ausbau ab?
Der Bundesrat nimmt die schwierige finanzielle Situation einzelner Personen ernst, aber auch die Situation der AHV. Wir müssen die Renten nachhaltig finanzieren. Und für Personen, die nicht genug Geld haben im Alter, müssen wir eine Lösung finden. Dank der Initiative streitet auch niemand mehr ab, dass bedürftige Menschen mehr Unterstützung brauchen.

Was ist denn die Lösung?
Wir können mit Ergänzungsleistungen viel gezielter jenen Menschen helfen, die wenig Mittel haben. Oder wie es eine Mehrheit des Parlaments will: Die tiefen Renten erhöhen. Das würde jenen zehn Prozent der Rentenbeziehenden helfen, die es nötig haben. Der Unterschied ist entscheidend: Nur mit gezielten Massnahmen können wir verhindern, dass wir die AHV als Ganzes schwächen.

Was sagen Sie jenen, die nur eine kleine oder gar keine Pensionskassenrente haben und allein vom AHV-Einkommen leben?
Für Menschen, welche die AHV-Rente am meisten nötig haben, ist es eben wichtig, dass wir eine zukunftsgerichtete Lösung haben. Allen eine 13. Rente auszuzahlen, macht aus einem weiteren Grund wenig Sinn: Wer heute eine tiefe AHV-Rente bezieht, erhält mit der 13. AHV-Rente nur diesen Minimalbetrag aufgeschlagen. Wer hingegen die Maximalrente bezieht, dem wird eine weitere Maximalrente ausbezahlt. Das ist ungerecht.

Das Parlament und der Bundesrat haben auf einen Gegenvorschlag verzichtet. Vor ein, zwei Jahren sah man die Notwendigkeit nicht, die Menschen mit tiefen Renten zu unterstützen. Ist ein solches Versprechen jetzt glaubhaft?
Die Politik nimmt Rücksicht auf die gesellschaftlichen Realitäten: Vor zwei Jahren war die Situation anders. Jetzt haben wir eine sinkende Kaufkraft, steigende Mieten und Krankenkassenprämien. Manche Leute brauchen mehr Geld. Im Nationalrat war die Erhöhung der tiefsten Renten im Herbst unbestritten: Niemand hat gegen den Vorschlag von Melanie Mettler gestimmt.

Was hat sich geändert?
Die Erkenntnis ist gereift, dass wir etwas unternehmen müssen, damit alle Rentnerinnen und Rentner ein würdiges Leben führen können.

Für Menschen in schwierigen Verhältnissen würde sich die Situation durch ein Aufschieben einer Lösung nicht so schnell verbessern.
Es stimmt, wir brauchen rasch Lösungen. Aber sie müssen auch sinnvoll und finanzierbar sein. Wird der Rentenausbau angenommen, schreibt die AHV ab 2026 rote Zahlen. Auch für den Bund wird es schwierig, der 20,2 Prozent der AHV-Ausgaben finanziert. Er müsste 2026 kurzfristig über 800 Millionen Franken zusätzlich für die AHV aufwenden. Das ist in der aktuellen Finanzlage schwierig: Wir müssten Prioritäten setzen - und diskutieren, wo wir zugunsten der AHV sparen wollen. Bei den Bauern, bei den Hochschulen, in der internationalen Zusammenarbeit oder etwa doch bei der Armee?

Die Initianten sagen, die Finanzierung sei kein Problem. Mittelfristig reiche es, die Lohnbeiträge um 0,8 Prozentpunkte zu erhöhen.
Nein, die Finanzierung ist ein Problem! Denn auch die Erwerbstätigen, die wenig Geld haben, müssen die zusätzlichen Renten finanzieren. Die Alternative, die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zu erhöhen, wäre auch schwierig. Erstens braucht es eine Verfassungsänderung, die Bevölkerung müsste also darüber abstimmen. Zweitens würden Konsumgüter teurer. Die Kaufkraft der Leute würde weiter geschwächt. Wobei Familien und Menschen mit tiefen Einkommen besonders stark betroffen wären.

Was wäre denn eine gute Finanzierung?
Besser ist es sowieso, nur jene finanziell zu unterstützen, die das Geld wirklich brauchen.

Das Parlament hat die Ergänzungsleistungen zuletzt gekürzt. Wie Verbesserungen aussehen, ist unklar. Ist es dann nicht besser, den Spatz in der Hand zu haben?
Aus Sicht einer betroffenen Person verstehe ich diese Überlegung. Aber vielleicht merkt die Person bald, dass der Spatz in der Hand sehr schnell schwächelt. Aufgrund der demografischen Entwicklung sind die Renten der Zukunft nicht finanziert.

Was heisst das?
Die Erwerbstätigen müssen immer mehr Rentenbezüger finanzieren. Die Demografie wird in den nächsten Jahren voll auf die AHV durchschlagen. Es zeichnen sich hohe Defizite ab. Es wird in Zukunft mehr Geld brauchen, um die Renten zu finanzieren. Viele Menschen sind sich bewusst, dass die AHV das sozialste und solidarischste Werk der Schweiz ist. Und dass es einen Generationenvertrag gibt, der den Jungen eine sichere Altersrente verspricht.

Die Argumentation ist für viele eher abstrakt.
Ich verstehe, dass viele eine 13. AHV-Rente dankend annehmen würden. Wer sagt schon Nein zu einem 13. Lohn? Aber als Bürger haben wir auch eine Verantwortung gegenüber der AHV. Sie muss finanziell gesund bleiben. Deshalb die Frage: Können wir uns diesen Ausbau wirklich leisten? Und wie zahlen wir ihn? Mit mehr Lohnbeiträgen oder mehr Mehrwertsteuer?

Ein höheres Rentenalter ist kein Thema?
Ich werde dem Bundesrat bis 2026 Vorschläge machen, wie die AHV für die 2030er-Jahre finanziell stabilisiert werden kann. In diesem Rahmen werden wir sicher auch über ein höheres Rentenalter diskutieren müssen. Aber der Entscheid zum Frauenrentenalter 65 ist noch frisch: Die Abstimmung war knapp, für viele Betroffene war der Entscheid emotional schwierig. Zudem gilt Rentenalter 65 erst ab 2028. Es wäre schwierig, es bis 2033 auf 66 zu erhöhen und dann an die Lebenserwartung zu koppeln, wie es die Renteninitiative will. Solche Entscheide widersprechen der politischen DNA der Schweiz: Wir versuchen stets die Komplexität der Gesellschaft abzubilden.

Was müssen wir berücksichtigen?
Wer körperlich schwer arbeitet, kann nicht bis 66 berufstätig sein. Und nicht alle Erwerbstätigen finden im Alter einen Job. Abgesehen davon ist heute bereits ein flexibler Altersrücktritt möglich. Die Lebensarbeitszeit würde diese Faktoren besser berücksichtigen.

Ist das ein Modell für die nächste AHV-Reform, die sie bis 2026 vorlegen müssen?
Wir schauen uns sicher verschiedene Modelle an. Im Unterschied zur Renteninitiative wollen wir nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung sowie die Fortschritte mit der künstlichen Intelligenz und der Produktivität berücksichtigen.

Ist bei einem Nein zur jungfreisinnigen Renteninitiative das höhere Rentenalter nicht vom Tisch?
Ich denke, bei einem Nein ist primär der Automatismus vom Tisch, der das Rentenalter an die Lebenserwartung koppelt.

Für Sie als Sozialministerin wäre der Automatismus eine enorme Entlastung: Dann müssten Sie keine Diskussionen um die AHV-Finanzierung mehr führen.
Es ist nicht entscheidend, was für mich vorteilhaft ist. Zudem reichen die Entlastungen der Renteninitiative nicht, um die AHV nachhaltig zu stabilisieren. Wichtig ist, dass die AHV solidarisch bleibt, dass die Menschen weiterhin darauf vertrauen, eine sichere Altersrente zu erhalten. Die AHV ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist ein Werk, das mit Mut und Kompromissen entwickelt wurde. Wir sollten dem Sorge tragen. Und wir sollten darauf verzichten, mit Massnahmen, die kurzfristig attraktiv aussehen, die wichtigste Säule unserer Altersvorsorge aufs Spiel zu setzen.

In den letzten fünf Jahren kamen zwei Finanzierungsvorlagen durch. Das zeigt: Niemand will die AHV untergehen lassen.
Ja, aber beide Zusatzfinanzierungen waren schwierig, es brauchte dafür viele Kompromisse. Wir haben die AHV-Finanzen stabilisiert, aber nur für kurze Zeit. Jetzt müssen wir diese Zeit nutzen, um einen neuen Kompromiss zu schmieden. Dazu gehört auch, die Lebensumstände bedürftiger Rentnerinnen und Rentner zu verbessern.

Die sinkenden Umwandlungssätze schmälern aktuell die neuen Pensionskassenrenten. Müssen wir diese mit einer besseren AHV-Rente ausgleichen?
Ich bin teilweise einverstanden. Die AHV ist der Sockel für die Vorsorge im Alter. Bei den Pensionskassen sehe ich gewisse Probleme - etwa bei den tieferen Einkommen. Trotzdem sind viele Senioren nicht auf eine 13. AHV-Rente angewiesen. Wir destabilisieren das Vorsorgesystem, wenn wir es in die roten Zahlen treiben.

Zusammengefasst wird die nächste Reform tiefere Renteneinkommen stärken und gleichzeitig die AHV auch über ein flexibleres Rentenalter finanzieren?
Wie die nächste Reform aussieht, kann ich noch nicht genau sagen. Wichtig ist aber, dass wir die Ergänzungsleistungen nicht vergessen. Es handelt sich dabei nicht um Almosen. Personen, deren Rente nicht zum Leben reicht, haben rechtlich Anspruch darauf.

Ist denn das Parlament mit den letzten Kürzungen zu weit gegangen? Beispielsweise verzichten ältere Menschen auf EL, weil die Kinder dereinst gezwungen wären, Hauseigentum zu verkaufen.
Wer sich mit Einzelschicksalen befasst, stösst immer wieder auf Härtefälle. Wenn wir aber das System als Ganzes anschauen, ist es richtig, nebst dem Einkommen auch das Vermögen zu berücksichtigen. Beispielsweise erben viele Menschen in höherem Alter. Es ist fair, dies zu berücksichtigen. Doch eine Balance zu finden, wie viel des Vermögens angerechnet werden kann, ist sehr schwierig, weil auch die Biografie jeder einzelnen Person sehr unterschiedlich ist.

Sie finden das System gut?
Ja, das System als Ganzes ist gerecht. Denn es erlaubt, gezielt auf die Bedürfnisse wie die höheren Krankenkassenprämien, die Gesundheitskosten, die höheren Mieten einzugehen. Aber: Wir sollten die Ergänzungsleistungen anpassen.

Wieso?
Die Nachfrage nach gewissen Leistungen steigt. Zum Beispiel wollen Menschen heute länger im eigenen Heim wohnen.

Die Ergänzungsleistungen belasten den Bundeshaushalt. Ist es realistisch, in der aktuellen Situation die Ergänzungsleistungen anzupassen?
Ich bin zuversichtlich, dass die Parteien eine Antwort auf die Situation der bedürftigen Rentnerinnen und Rentner finden.

Was sagen Sie dazu, dass sich nun Altbundesräte in den Abstimmungskampf einmischen?
Ich möchte das nicht kommentieren. Aber es ist für den Bundesrat sicher ein facher, wenn die ehemaligen Mitglieder den Bundesrat öffentlich unterstützen, als wenn sie ihn kritisieren.

Nach den Abstimmungen über die AHV folgen im Sommer drei Gesundheitsinitiativen, im Herbst die Pensionskassenreform, im Winter vielleicht eine Gesundheitsreform. Ihr Kalender wird dominiert von Abstimmungsvorlagen. Bereuen Sie den Wechsel ins Innendepartement?
Auf keinen Fall. Meine Arbeit ist sehr spannend. Ich bin viel in Kontakt mit interessierten Menschen, auf Podien, in der Öffentlichkeit. Die Thematik liegt auch näher an meinem Lebenslauf, an dem, was ich gemacht habe, an dem, was ich kenne.

Sieben Abstimmungen, viele neue Themen. Erschlägt das einen nicht?
Jedes Departement verlangt viel Energie. Im Innendepartement kann ich mich mit Themen befassen, die sehr nah am Alltag der Bevölkerung sind. Das gibt mir auch viel Energie zurück. Zudem kann ich auf eine gute Equipe zählen.

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