«Ich will jenen mit den tiefsten Einkommen helfen»

27 gennaio 2024 | Tages-Anzeiger | in tedesco
Intervista: Markus Brotschi e Konrad Staehelin

Kaum im Amt angekommen, kämpft die neue Innenministerin gegen zwei Volksinitiativen und gegen ihre eigene Partei. Anders als die SP macht sie sich grosse Sorgen um die AHV-Finanzen.

Frau Baume-Schneider, bei der 13. AHV-Rente müssen Sie gegen ein Herzensanliegen Ihrer Partei und der Gewerkschaften kämpfen. Werden Sie eine engagierte Kampagne führen oder lediglich die Sichtweise des Bundesrates vorbringen?
Ich werde sachlich sein und alle Argumente präsentieren. Wir müssen vermitteln, dass die AHV nachhaltig finanziert sein muss. Für mich ist das kein Kampf. Ich nehme meine Verantwortung als Bundesrätin wahr.

Trotzdem gehen wir davon aus, dass Sie die 13. AHV-Rente unterstützt hätten, wenn Sie nicht die Meinung des Bundesrats vertreten müssten. Wie schwierig ist es, gegen die persönliche Überzeugung zu argumentieren?
Ich bin Mitglied einer Exekutive. Für mich ist es nichts Neues, die Position der Regierung zu vertreten. In dieser Situation war ich auch schon in der jurassischen Regierung. So funktioniert die Schweizer Demokratie.

Die Umfragen zeigen, dass die Initiative auch im bürgerlichen Lager populär ist. Wen müssen Sie noch überzeugen, damit die Initiative abgelehnt wird?
Der Bundesrat anerkennt, dass ein würdiges Leben im Alter gesichert sein muss und dass der Erhalt der Kaufkraft wichtig ist. Aber statt allen eine 13. Rente zuzusprechen, sollten wir auf Instrumente setzen, die gezielt jenen zugutekommen, die Unterstützung benötigen. Ein mögliches Mittel sind die Ergänzungsleistungen. Im Parlament sind als Alternative dazu zwei Vorstösse hängig, die gezielte Rentenverbesserungen für die unteren Einkommen verlangen.

Die Folgen sind jeweils die gleichen: mehr Geld für Rentnerinnen und Rentner.
Ja, aber der Preis dieser Initiative ist im Vergleich hoch. Wenn wir jährlich zusätzlich 4 bis 5 Milliarden Franken an Rentenzahlungen leisten müssen, gerät die AHV ab 2026 in die roten Zahlen. Jemand wird das bezahlen müssen. Wenn wir die Mehrwertsteuer erhöhen, belastet das die Leute mit kleinem Einkommen am stärksten. Wenn die Lohnabgaben um je 0,4 Prozentpunkte erhöht werden, zahlen das die Arbeitnehmenden und die Wirtaschaft. Zusätzlich belastet würde auch der Bundeshaushalt mit fast einer Milliarde Franken.

Der Bund müsste also ein Sparpaket schnüren?
Wir sind bereits jetzt in einer schwierigen Finanzlage. Der Bund müsste womöglich zusätzliche Einsparungen beschliessen, die allenfalls die Armee oder die Landwirtschaft treffen könnten. Es geht nicht darum, mit Zahlen Angst zu verbreiten. Es geht darum, Zusammenhänge aufzuzeigen.

Es würde sich auch niemand mehr davor fürchten. Die Bevölkerung hat sich mit den Milliardenhilfen wegen Corona und der Rettung der CS an hohe Beträge gewöhnt.
Ich verstehe, dass manche Leute sich fragen: Der Staat hat für dieses oder jenes Geld, warum also nicht auch für die AHV? Aber anders als bei Corona und der CS haben wir es hier nicht mit einer Krise zu tun. Die AHV steht wegen der Demografie ohnehin vor schwierigen Jahren. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner nimmt zu, viele stehen kurz vor dem Rentenalter. Der Bundesrat ist sich aber bewusst, dass es ältere Menschen gibt, deren Situation prekär ist.

Sie haben zwei Möglichkeiten erwähnt, wie Sie bedürftigen Rentnern helfen könnten. Verstehen Sie, dass sich viele Menschen in Ihrer Würde verletzt fühlen, wenn sie nach Jahrzehnten im Erwerbsleben Ergänzungsleistungen beantragen müssen?
Nein, denn sie haben einen Rechtsanspruch auf Ergänzungsleistungen. Niemand muss sich dafür schämen. Auch mein verstorbener Vater hat Ergänzungsleistungen benötigt. Sie decken beispielsweise Gesundheitskosten, die sich die Personen nicht leisten können. Die Krankenversicherung wird voll übernommen.

Sie schlagen also vor, dass bei einem Nein zur 13. AHV-Rente die Ergänzungsleistungen erhöht werden. Die Ausgaben dafür steigen wegen der Demografie aber ohnehin stark an. Die Bürgerlichen haben sich deshalb bei der letzten Reform für Kürzungen eingesetzt. Ist da ein Ausbau realistisch?
Ich werde Massnahmen vorschlagen, die gezielt den Rentnerinnen und Rentnern mit den tiefsten Einkommen helfen. Auch im Parlament sehen alle, dass Altersarmut ein grösseres Thema geworden ist. Dass wir den Senioren nicht einfach sagen können, dass sie ihre Familien um Hilfe bitten sollen.

Wenn die Bevölkerung die Initiative für eine 13. Rente annimmt, würde der AHV-Fonds 2027 weniger Mittel beinhalten, als gesetzlich vorgeschrieben sind. Würden Sie dem Parlament sofort eine Reform der AHV präsentieren oder erst 2026, wenn Sie sowieso dazu verpflichtet sind?
Ich sehe fast keinen Unterschied zwischen sofort und 2026. Eine solche Reform ist ein politisch langfristiger Prozess. 

Erhöhung der Mehrwertsteuer, Lohnabzüge, Rentenaltererhöhung, Bundesbeiträge: Es gibt verschiedene Instrumente, um die AHV zu sanieren. Welches bevorzugen Sie?
Es ist zu früh, um das zu sagen. Wir werden das im Bundesrat diskutieren. Aber allzu viele Möglichkeiten gibt es nicht. Irgendwo in diesen Bereichen werden Kompromisse nötig sein. Die AHV ist das wichtigste Sozialwerk, das wir haben. Sie muss zwingend gesund bleiben.

Ihr Hauptargument gegen die 13. Rente ist, dass die AHV in der Balance bleiben soll. Konsequenterweise müssten Sie auch für die Renteninitiative sein, die eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters fordert.
Nein. Das Hauptproblem der Initiative ist die automatische Erhöhung des Rentenalters. Nachdem dieses in einem ersten Schritt auf 66 Jahre angehoben worden ist, soll es danach für jedes zusätzliche Jahr an Lebenserwartung um 0,8 Jahre steigen. Bei einem so sensiblen Thema einen Automatismus einzuführen, passt nicht zur politischen Kultur der Schweiz. Denken Sie daran, wie emotional die Rentenaltererhöhung für die Frauen vor anderthalb Jahren diskutiert worden ist. Zu solchen Schritten braucht es immer eine politische Diskussion.

Es gibt viele Beispiele für Automatismen in der Schweiz. Denken Sie an den Mischindex für die Ermittlung der AHV-Rente, den Referenzzinssatz für die Ermittlung der Mieten - oder die Anpassung Ihres Bundesratslohns an die Inflation.
Das stimmt, bloss sind Ihre Beispiele jeweils von nur einem oder zwei Faktoren abhängig. Ob eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters sinnvoll ist, hängt aber nicht nur von der Lebenserwartung ab, sondern auch von den Veränderungen in der Arbeitswelt. Können ältere Personen leichter weiterbeschäftigt werden als heute? Wie leicht finden sie nach einer Entlassung wieder eine Stelle? In welchen Berufen ist es überhaupt zumutbar, länger als heute zu arbeiten? Es gibt viele Fragen, die der Bundesrat, das Parlament und die Bevölkerung jedes Mal neu bewerten müssen.

Dass Sie als Politikerin so denken, ergibt Sinn, aber es handelt sich dabei um ein demokratiepolitisches und damit ziemlich akademisches Argument. Die arbeitende Bevölkerung interessiert etwas anderes: Braucht es im Grundsatz eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters von 65, wie es mit der Einführung der AHV 1948 eingeführt wurde?
Bei der nächsten AHV-Reform wird der Bundesrat sicher über das Rentenalter diskutieren. Wichtig ist dabei aber auch, zu wissen, wie es sich auswirkt, dass Personen seit diesem Jahr den Bezug ihrer AHV-Rente viel flexibler wählen können. Diesen Aspekt und die anderen vorhin erwähnten Fragen werden wir analysieren und dann entscheiden, zu welchen Mitteln wir greifen.

Sie sind noch nicht einmal einen Monat im neuen Amt. Wie haben Sie sich eingearbeitet? Haben Sie ein Privatseminar zur Altersvorsorge bekommen oder vielleicht Erklärvideos auf Youtube angeschaut?
Videos habe ich mir keine angeschaut. Ich habe mit meinem Vorgänger Alain Berset gesprochen und Dossiers studiert. Die verschiedenen Ämter haben mir Ordner zusammengestellt, die mir die schrittweise Einarbeitung in die Dossiers ermöglicht haben. Aber mit vielen Themen war ich auch schon in meiner früheren beruflichen und politischen Tätigkeit konfrontiert.

Was hat Sie zum Wechsel bewogen: War es die Lust auf das Innendepartement oder die Unlust am Justizdepartement?
Keines von beidem. Es war die Möglichkeit, mich mit Themen zu beschäftigen, die mir vertraut sind, meinem beruflichen Lebenslauf entsprechen und bei denen ich diese Expertise einbringen kann. Die Migrationspolitik ist ein schwieriges Dossier. Das sieht man in allen Ländern Europas. Das war nicht der Grund, dass ich gewechselt habe. Ich bin überzeugt, dass man der Kritik am besten mit sachlicher Argumentation und Fakten begegnet.

Contatto

Dipartimento federale dell'interno DFI
Segreteria generale SG-DFI
Inselgasse 1
CH-3003 Berna

Tel
+41 58 462 80 41
FAX
+41 58 462 79 01

Mail

Stampare contatto

https://www.edi.admin.ch/content/edi/it/home/il-dfi/elisabeth-baume-schneider/interviews/20240127_interview_ta.html