Ja, ich lebe selbstbestimmt!

Ein Gespräch über selbstständiges Leben und Lebensfreude.

Foto von Kathrin Brodmann. Frau Brodmann steht an einem Waldweg und lacht in die Kamera.
Kathrin Brodmann

Kathrin Brodmann ist 33 Jahre alt und lebt mit einer Trisomie 21, dem sogenannten Downsyndrom. Sie sagt mir gleich zu Beginn des Gesprächs: «Ich habe das Downsyndrom. Sonst habe ich nichts. Es ist alles gut.»

Wir sitzen in einer Bar, direkt am Fluss. Es ist windig und etwas kalt. Einige Personen bestellen in Badehose ihren Kaffee und springen dann ins Wasser. Kathrin Brodmann entdeckt mein Erstaunen und wie ich mein Jäckchen zuhalte. Lachend sagt sie: «Ich gehe auch zweimal in der Woche schwimmen. Jetzt ist es schon ein bisschen kalt. Aber ich schwimme schnell und gut.» Das Gespräch beginnt mit dem Thema Sport.

Schwimmen, Skifahren, Segeln, Fallschirmspringen und einigen Medaillen dazu

Seit über 15 Jahren ist Kathrin Brodmann im Schwimmverein. «Ich habe bereits viele Medaillen – die meisten vom Schwimmen.» Im Laufe des Gesprächs kommen immer weitere Sportarten und Sporterfahrungen dazu – bis hin zum Fallschirmspringen. Sie ist Mitglied und Delegierte bei PluSport und macht seit Jahren bei den Special Olympics mit. «Ich solle eigentlich nicht mehr skifahren. Mir ist beim letzten Mal das Knie ziemlich eingeknickt. Aber ich will das schon wieder versuchen. Ich darf halt einfach nicht mehr so schnell fahren.» Lachend fügt sie hinzu: «Das war bei einem Rennen. Ich wollte einfach die erste sein.»

Sport ist nicht das einzige Hobby. «Ich spiele auch noch Flöte, gehe mit Freunden aus, gehe gerne an Konzerte, besonders Schlager oder unternehme sonst Sachen.»

Touch Down – ich hatte die meisten Tandem-Führungen in der Schweiz gemacht

Vom Sport über weitere Hobbies kommen wir im Gespräch zur Touchdown Ausstellung. «Ich war in Bonn und habe dort die Ausstellung «Touch Down» besucht. Die hat mir sehr gefallen. Wirklich. Dort hat mich dann jemand gefragt, ob ich nicht Lust habe, Tandem Führungen in der Schweiz zu machen. Das habe ich natürlich gerne gemacht. Bei der Tandem Führung ist jemand mit dem Downsyndrom und jemand ohne dabei, welche die Leute durch die Ausstellung führen. Ich habe während der ganzen Ausstellung 20 Tandemführungen gemacht. Das war das meiste in der Schweiz (lacht). In Deutschland hat jemand mit Downsyndrom 27 Führungen gemacht.»

Leichte Sprache und die schwierigen Abstimmungsunterlagen

Während den Führungen im Zentrum Paul Klee wurde Frau Brodmann angesprochen zum Thema Leichte Sprache. Sie wurde als Betroffene in eine Prüfgruppe zu Texten in Leichter Sprache angefragt. Seither hat sie ein paar Mal Texte in Leichter Sprache gelesen und geprüft: «Das waren zum Beispiel Informationen zum Thema Abfallentsorgung. Ich habe die Texte in Leichter Sprache gelesen und ihnen gesagt, was verständlich ist für mich und was nicht. Das war schon spannend. Nun seit Corona war ich aber nicht mehr dort.» Sie spricht über die Abstimmungsunterlagen. «Ich habe gehört, die werden nun auch in Leichter Sprache geplant. Das ist schon wichtig. Ich lese die Abstimmungsunterlagen ja, die sind schon schwer und ich habe sehr lange, bis ich verstehe, um was es geht.» Es wird klar, Kathrin Brodmann ist politisch interessiert. Sie stimmt ab seit sie 18 Jahre alt ist. Informationen zum politischen Geschehen holt sie sich von verschiedenen Orten: «Eben, ich lese die Abstimmungsunterlagen schon. Aber ich schaue oft die Tagesschau oder die Arena. Das ist schon spannend und da diskutieren sie.

Ja - ich lebe selbstständig und im Haushalten bin ich echt gut

Nebst der Hilfe bei den Abstimmungen hilft ihr die Mutter auch beim E-Banking oder berät sie beim Kleidershopping. «Auch mein Bruder kommt, wenn ich Unterstützung brauche – dafür koche ich ihm, falls er mal keine Zeit dafür hat.» Bevor sie von zu Hause ausgezogen ist, besuchte Frau Brodmann für zwei Jahre in einer Wohnschule: «Ich habe dort zwei Jahre gelebt und wir lernten eben selbstständiges Wohnen. Das geht übers Einkaufen, Wäsche machen, putzen, kochen und vieles mehr.» Seit nun mehr als sieben Jahren wohnt sie alleine und selbstständig. Einmal in der Woche kommt für eine Stunde eine Person vom «ambulanten begleiteten Wohnen» zur Unterstützung, besonders für die Finanzen vorbei. «Also handwerklich bin ich nicht so geschickt. Aber ich mache meinen Haushalt gut und gerne. Und kochen tu ich auch gerne.»

Kochen ist nicht nur Leidenschaft, sondern auch Beruf

«Ich war immer in der normalen Schule und ja, ich war die einzige mit Downsyndrom. Aber das ging gut. Ich erhielt ja Unterstützung von den Heilpädagogen. Nach der obligatorischen Schulzeit besuchte ich das freie Gymnasium. Danach habe ich die Ausbildung als Küchenhilfe gemacht.»

Kein Wunder kocht Kathrin Brodmann also gut. Sie arbeitet nun bereits seit Jahren als Küchenhilfe in einem Alterzentrum. «Damals hatte mein Vater dort angefragt, ob sie eine Stelle für mich frei hätten. Ich ging schnuppern und hatte den Job. Zuvor arbeitete ich in einer Kindertagesstätte, auch als Küchenhilfe. Diese Anstellung hat damals meine Ausbildnerin organisieren können.»  Katrhin Brodmann hat nach der Schulzeit eine Anlehre als Küchenhilfe gemacht. «Das ging alles gut. Das Komische ist nur, ich hatte während der ganzen Schulzeit Unterstützung, aber durch die Anlehre musste ich selbst durch. Das habe ich dann wirklich alleine machen müssen. Aber ich habe die Prüfung bestanden. Am Morgen erhielten wir das Menu, das wir kochen mussten. Um zwölf mussten wir fertig sein, inklusive Abwaschen und Putzen. Und ich war Punkt zwölf fertig. Und dann sagte mir die Prüferin, ich habe bestanden.»

Gibt es etwas, das nicht gut läuft?

Ich frage unverblümt: «Gibt es etwas, was denn nicht gut läuft in Bezug auf Ihr Downsyndrom?» Sie denkt längers nach, schüttelt den Kopf und sagt: «Nein. Manchmal starren mich die Kinder an. Aber ich habe halt auch keine Haare mehr und trage ein Kopftuch. Das sind sie sich nicht gewohnt. Ich habe den Kreisrunden Haarausfall. Es hat vor zwei Jahren angefangen, dass mir büschelweise Haare ausgefallen sind. Und plötzlich waren die Haare halt weg. Diese Krankheit nennt man «Areata». Aber es ist ja eigentlich gar keine Krankheit. Ich bin ja nicht krank. Es fehlen nun einfach die Haare. Ich komme schon zurecht ohne Haare.»

Wir haben auch ein Recht zu leben – ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben

Zum Abschluss noch die folgende Frage: «Was könnte in der Schweiz für Menschen mit Trisomie 21 verbessert werden?» Die Antwort kommt diesmal schnell: «Es sollten keine Menschen abgetrieben werden, nur weil sie das Downsyndrom haben. Wir haben auch das Recht zu leben.» Sie weitet die Antwort aus. Es geht nicht nur um «einfach zu leben», sondern um selbstbestimmt zu leben. «Ja, ich lebe selbstbestimmt. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt. Wollte alleine wohnen, abstimmen und selber über mein Leben entscheiden. Natürlich brauche ich teilweise Hilfe. Aber entscheiden will ich selbst.»

 

Artikel und Interview: Jasmin Cahannes, EBGB. Das Interview wurde im Juli 2021 auf Deutsch geführt.

Fachkontakt
Letzte Änderung 26.07.2021

Zum Seitenanfang

https://www.edi.admin.ch/content/edi/de/home/fachstellen/aktuell/themen-der-gleichstellung1/stimmen_vonmenschenmitbehinderungen/ja_ich_lebe_selbstbestimmt.html