Konzepte und Modelle Behinderung

Um das Verständnis der verschiedenen Ansätze und Positionen zu fördern, die den Umgang mit «Behinderung» prägen, möchten wir an dieser Stelle eine Übersicht über diejenigen Vorstellungen und Modelle geben, welche die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussionen in den letzten 50 Jahren und bis in die Gegenwart hinein wesentlich geprägt haben.

Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen nimmt in der öffentlichen Diskussion in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr Raum ein. In der Schweiz lässt sich dies in rechtlicher Hinsicht besonders am Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes am 1. Januar 2004 und an der gleichzeitig erfolgten Schaffung des Behindertengleichstellungsbüros ablesen.  

Das individuelle Modell (oder medizinische Modell)

Das individuelle Modell, das sich nach dem ersten Weltkrieg entwickelte, beruht auf einem bio-medizinischen Ansatz. Behinderung wird als «körperliche, psychische oder geistige Beeinträchtigung» einer Person verstanden, aus der Einschränkungen der gesellschaftlichen Partizipation folgen. Dieses Modell beruht auf einer Logik von Ursache und Wirkung: Eine Krankheit oder ein Trauma führt zu einer Beeinträchtigung des Organismus, welche die Fähigkeit einschränkt, gewisse Verrichtungen vorzunehmen, woraus wiederum ein sozialer Nachteil oder eine Behinderung folgt. Behinderung ist danach eindeutig das Resultat einer Beeinträchtigung des Individuums. Der Umgang mit Behinderung, der aus diesem Modell folgt, knüpft an der Pflege an und setzt sich die längerfristig die Heilung der Person oder zumindest deren Eingliederung in die Gesellschaft zum Ziel, wie sie für die «Gesunden» existiert.

Das soziale Modell

Als Reaktion auf dieses sehr medizinische Modell entsteht in den 1960er Jahren im Umfeld verschiedener Behindertenbewegungen eine strikt soziale Sicht von Behinderung. Daraus entwickelt sich das soziale Modell der Behinderung, welches Behinderung als Ergebnis einer Gesellschaft betrachtet, welche die Besonderheiten ihrer Mitglieder nur unzulänglich berücksichtigt. Die Ursache der Behinderung liegt in diesem Modell ausserhalb des Individuums. Daraus folgt auch ein anderer Umgang mit Behinderung: Die soziale Betrachtungsweise verwirft die Heilung als Ideal und setzt stattdessen auf die Förderung der vorhandenen Kapazitäten der Person, um so ihre Autonomie im Alltag zu ermöglichen. Dieses Modell fordert ebenfalls die Beseitigung physischer und sozialer Barrieren. Es geht darum, die Umwelt und Dienstleistungen anzupassen, d.h. sie für Personen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen zugänglich und verwendbar auszugestalten.

Die interaktiven Modelle

Als Reaktion auf die traditionellen Ansätze, die je einen spezifischen Aspekt in den Vordergrund stellen, hat sich ein dritter Typus von Modellen entwickelt. Die neue Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health) der Weltgesundheitsorganisation WHO versucht, bei der Definition der Behinderung sowohl den individuellen wie auch den umweltbezogenen Faktoren Rechnung zu tragen. Das Modell PPH (Processus de production du handicap; Prozess der Erzeugung von Behinderung), das seit den 1980er Jahren in Québec von Fougeyrollas und seinen Mitarbeitenden entwickelt wird, setzt einen Akzent auf der Interaktion zwischen den verschiedenen Faktoren, die zu einer Situation von Behinderung führenden. Diese neueren Modelle sind offen und dynamisch, indem sie versuchen, den individuellen Determinismus des medizinischen und den externen Determinismus des sozialen Modells zu überwinden.

Wie steht es in der schweizerischen Gesetzgebung

Verschiedene rechtliche Instrumente sind für den Bereich «Behinderung» relevant, in erster Linie das Invalidenversicherungsgesetz (IVG) und das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG). Zunächst erscheinen diese Gesetze als Ausdruck unterschiedlicher Visionen von Behinderung. Heute präsentieren sie sich jedoch als komplementäre Ansätze, die im Zusammenspiel einen grossen Teil des Bereichs «Behinderung» abzudecken vermögen.

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