Wir haben für den «Scheinwerfer» mit Prof. Dr. Walter Leimgruber, Präsident der EKM, und Prof. Nenad Stojanović, Politikwissenschaftler und EKR-Mitglied, über 8 Jahre Kantonale Integrationsprogramme und den Diskriminierungsschutz im Rahmen der Integrationsförderung geredet.
Prof. Dr. Walter Leimgruber, Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission
Die Verankerung des Diskriminierungsschutzes in der Integrationsförderung bietet viele Möglichkeiten, aber auch Risiken. Was ist Ihre Bilanz aus den letzten Jahren?
Die Verankerung des Diskriminierungsschutzes im AIG und in den KIP war ein wichtiger Meilenstein. Es geht natürlich nicht auf, Menschen bei der Ausbildung und beim Spracherwerb zu unterstützen, wenn ihnen dann wegen struktureller Hürden der Zugang zu Arbeit und Gesellschaft erschwert oder gar verwehrt wird. Umgekehrt wird aber Diskriminierung in diesem politischen Rahmen als Migrationsproblem angesehen und nicht als historisch gewachsene Ungleichheit, die unsere gesamte Gesellschaft prägt. Da sind alle Politikfelder gefragt und nicht nur die ohnehin relativ schwach dotierte Integrationsförderung.
In den letzten Jahren wurde von den Kantonen viel Aufbauarbeit geleistet. Was können Kantone in der Zukunft tun, um den Diskriminierungsschutz weiter auszubauen?
Tatsächlich hat viel Aufbauarbeit stattgefunden, namentlich in den Bereichen Kompetenzen, Vernetzung und Beratung. Jedoch ist Diskriminierung nicht primär ein individuelles Problem von Betroffenen, die Beratung benötigen. In Zukunft wird es wichtiger sein, die strukturellen Ursachen selbst anzugehen, etwa durch die Öffnung von Institutionen – auch der Verwaltung selbst – und durch den Abbau von Hürden bei Bildung, Arbeit oder Wohnen.
Wie können diese Ziele strategisch in die kommenden KIP aufgenommen werden, wie ist der Diskriminierungsschutz im Rahmen der KIP 3 konkret auszugestalten?
Diskriminierungsschutz wird oft so verstanden, dass stattgefundene individuelle Diskriminierungen geahndet werden. Wirkungsvoller wäre es hingegen, Massnahmen zu ergreifen, um Diskriminierung zu verhindern. Dazu müssten zuerst Ausschlussprozesse eruiert, robuste Daten erhoben und dann positive Massnahmen zur Inklusion und Diversifizierung lanciert werden. Dies würde einen Perspektivenwechsel bedeuten: Institutionen werden in die Pflicht genommen, aktiv Chancengerechtigkeit für alle zu fördern.
Nenad Stojanović, SNF-Professor für Politikwissenschaft, Universität Genf und Mitglied der EKR seit 2012
Als Politikwissenschaftler und Mitglied der EKR, wo sehen Sie aktuell den grössten Handlungsbedarf um den Diskriminierungsschutz zu stärken?
Vor allem im Bereich des Zivilrechts müssen die Massnahmen zur Bekämpfung von Rassismus gestärkt werden. Insbesondere in Hinblick auf Abschreckung und Prävention weisst die aktuelle Lage, wo das Strafgesetzbuch massgebend ist, noch einige Mängel auf.
Es ist schwierig für die Kantone, den Diskriminierungsschutz als Querschnittsaufgabe in der Integrationsförderung zu verankern: wie kann das Ihrer Meinung nach konkret gelingen?
Es müssten kantonale Kommissionen gegen Rassismus geschaffen werden. In meinem Heimatkanton, dem Tessin, haben die kantonalen Behörden beschlossen, die Bezeichnung «Rassismusbekämpfung» aus dem Namen der Kommission für die Ausländerintegration zu streichen. Dies ist ein symbolischer Schritt, der jedoch in die falsche Richtung geht.
Integrationsförderung ist ohne Diskriminierungsschutz nicht möglich. Doch Schutz vor Diskriminierung kann nicht allein auf die Integrationsförderung beschränkt sein. Heute ist das weitgehend der Fall. Was ist zu tun, um den Schutz vor Diskriminierung breiter zu verankern?
Vor allem im Bereich der Sensibilisierung von Lehrpersonen, insbesondere in den obligatorischen Schulen, muss noch viel getan werden.