Wir haben für den «Scheinwerfer» mit Anne Stammwitz, Diversity & Inclusion Consultant der Beratungsfirma Diversify, und Diversity Coach Estefania Cuero über Öffnungsprozesse, Inklusion und Diskriminierungsschutz gesprochen.
Estefania Cuero, Diversity Coach
Sie begleiten Organisationsprozesse, die einen diskriminierungsfreien und reflektierten Umgang mit Diversität anstreben. Inwiefern leistet grössere Diversität einen Beitrag zum Diskriminierungsschutz?
Viele von uns denken beim Begriff «Diversität» an menschliche Vielfalt. Manche gehen einen Schritt weiter und verknüpfen diesen Gedanken mit der Ablehnung jeglicher Form von Diskriminierung. Diversität geht als Bestandteil sozialer Gerechtigkeit jedoch weiter. Diversität interveniert dort, wo Diskriminierung unser Zusammenleben strukturiert. Es geht um die Auseinandersetzung mit Diskriminierung, die nicht auf einzelne Erfahrungen blickt, sondern darauf, wie Diskriminierung auf institutioneller Ebene wirkt. Das betrifft wiederum alle Gesellschaftsbereiche (Bildung, Arbeitsmarkt, Politik, etc.).
Wie werden Institutionen für einen Öffnungsprozess und die Auseinandersetzung mit Diskriminierung gewonnen?
In manchen Institutionen verschaffen sich einzelne Mitarbeitende, die an der Thematik interessiert sind, zunehmend Aufmerksamkeit. Andere Institutionen öffnen sich erst, wenn sie von einer höheren Instanz dazu aufgefordert werden, z. B. durch Richtlinien. Zu häufig wird jedoch gewartet, bis der öffentliche Druck zur Handlung zwingt. In diesen Fällen ist die Auseinandersetzung mit diskriminierungskritischer Diversität die Reaktion auf (mind.) einen Skandal, der sich nicht vertuschen lässt. Idealerweise haben Entscheidungstragende wie auch andere Institutionsmitglieder rechtzeitig den Willen, sich diesbezüglich weiterzuentwickeln. Zu Beginn kann das im Rahmen von Teambuilding stattfinden. Es ist allerdings wichtig, dass sich Diversität in der Struktur der Organisation verankert.
Welche Massnahmen eignen sich, um Rassismus und rassistischer Diskriminierung innerhalb von Organisationen entgegenzuwirken?
Strukturelle Massnahmen und diskriminierungskritische Diversitätsarbeit. Es ist wichtig, dass es in einer Institution eine Anlaufstelle für rassistische Diskriminierung gibt. Diese sollte auch Ahnung von Diskriminierung aufgrund anderer Merkmale haben. Es empfiehlt sich, mit einer intersektionalen Perspektive zu arbeiten, also die einzelnen Diskriminierungsmerkmale (Geschlecht, Alter, etc.) zu behandeln, zu verstehen, dass sich die Merkmale überlappen und welche Auswirkungen das hat. Mit der Anlaufstelle ist es aber nicht getan. Diskriminierung aufgrund von Rassismus und Rassifizierung entgegenzuwirken, setzt eine Selbstreflexion der Organisationsmitglieder voraus («Was bedeutet mein Weisssein in meinem Leben?») und die Auseinandersetzung mit strukturellen Fragen («Schützt unser Bewerbungsprozess vor rassistischer Diskriminierung oder fördert er sie?»).
Estefania Cuero bietet Workshops, Consulting und Moderation im Bereich von Diversity, Diskriminierungsschutz und Empowerment an: www.cuero.ch
Anne Stammwitz, Diversify
Sie beraten Firmen und Institutionen, inklusive und diskriminierungsfreie Einstellungsprozesse zu ermöglichen. Was heisst das in der Praxis?
In der Praxis bedeutet das, dass wir einen Rekrutierungsprozess machen, der anonymisiert ist. Kandidatinnen und Kandidaten beantworten online Assessmentfragen, die im Anschluss ausgewertet werden. So konzentrieren wir uns im Rekrutierungsprozess lediglich auf die Inhalte und wirken unconscious biases entgegen, indem wir uns nicht ablenken lassen von Hautfarbe, Alter, Name usw. Ausserdem helfen wir den Firmen, die Ausschreibungen so zu formulieren, dass sich viele unterschiedliche Menschen angesprochen fühlen.
Welchen Hürden und Widerständen begegnen Sie in den Institutionen und wie gehen Sie damit um?
Wir unterstützen Firmen darin, schon mit kleinen Schritten inklusiver zu werden. Oft braucht es ein wenig Zeit, damit sie verstehen, dass Diskriminierung strukturell verankert ist und dass wir alle jeden Tag aktiv daran arbeiten können, diese abzubauen. Wenn sie sehen, dass sie an ihren Strukturen ansetzen müssen, dass es keine persönliche Verfehlung ist, sondern Inklusion die gesellschaftliche Zielgerade ist, dann können wir gemeinsam an diesem Ziel arbeiten.
Was sind die Beweggründe von Firmen, die sich an Sie wenden, ihre Einstellungsprozedere inklusiver zu gestalten?
Die Menschen verstehen, dass eine inklusive Arbeitskultur zu diversen Teams führt und dass diverse Teams eine bessere Performance und Resilienz haben als homogene Teams. Oft wissen die Firmen jedoch nicht genau, wie sie ihre Abläufe und das Unternehmensmindset so umgestalten können, dass Menschen unterschiedlichster Hintergründe sie attraktiv finden als Arbeitgeber/innen. Je schneller wir inklusiv werden, desto mehr zeigen sich die Menschen in der Arbeitswelt so, wie sie gesehen werden wollen. Und das ist wichtig.
Diversify ist spezialisiert auf die Rekrutierung von innovativen und vielfältigen Teams: https://www.diversify.ch/