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Interviews, vidéos et articles invitésPublié le 16 mai 2025

«Diese Männer versuchen, Teile der Gesellschaft unsichtbar zu machen»

Die Gleichstellungsministerin befürchtet Rückschritte für Frauen und sexuelle Minderheiten. Und ist enttäuscht, dass Unternehmen ihre Diversitätsziele streichen.

3. Mai 2025 | Neue Zürcher Zeitung
Interview: Gina Bachmann und Daniel Friedli

In einer Woche beginnt in Basel der Eurovision Song Contest (ESC). Nach Nemos Sieg im vergangenen Jahr wurde die Forderung nach einem dritten Geschlechtseintrag laut. Sie sind bekennender Nemo-Fan. Können Sie den Wunsch nun erfüllen?

Elisabeth Baume-Schneider: Der Bundesrat hat 2022 die Schaffung eines dritten Geschlechts abgelehnt. Seither haben sich die Mehrheitsverhältnisse nicht verändert. Wir sind aber nicht untätig. Der Bund erarbeitet einen Bericht, der aufzeigen soll, in welchen Bereichen nonbinäre Menschen auf Schwierigkeiten stossen und wie sich ihr Leben erleichtern lässt, ohne auf juristischer Ebene eine dritte Geschlechtsoption einzuführen. Und wir müssen sehen: Es hat sich schon viel bewegt. Wir haben eine Ehe für alle, und es ist einfacher geworden, sein Geschlecht im Personenstandsregister ändern zu lassen.

Inzwischen scheint die Stimmung gedreht zu haben. In den USA werden wieder konservative Geschlechterbilder propagiert, und in Ungarn wurde die Pride, ein Umzug der Queer-Community, verboten.

Mit den Machtwechseln in den USA und anderswo wird der Wert einer diversen Gesellschaft infrage gestellt. Die Wahl des US-Präsidenten hat etwa zu einer gewissen Enthemmung der Sprache geführt.

Was meinen Sie damit?

Manche Leute denken, sexistische oder rassistische Äusserungen seien wieder gestattet. Für Minderheiten ist das beunruhigend. Viele fragen sich, ob sie in eine Zeit zurückgeworfen werden, in der es schwieriger war, ihr Leben offen und frei zu führen. Wir müssen jetzt wachsam sein, dass es nicht auch in der Schweiz zu Rückschritten kommt.

Vielleicht erklärt sich diese Gegenbewegung ja damit, dass viele Leute genervt waren von den Forderungen und der medialen Präsenz der Queer-Community.

Welche Leute meinen Sie? Klar, es gab vor einem Jahr diese Nemo-Mania. Der ESC ist ein Fest, an dem sich queere Menschen zu zeigen trauen. Das hat vielleicht einigen Leuten das Gefühl gegeben, es sei zu viel. Aber ich glaube nicht, dass die Bevölkerung generell genervt ist von diesem Thema.

Sie haben vorher die sprachliche Verrohung unter Trump erwähnt. In der US-Verwaltung sind Wörter wie «female» offenbar nicht mehr erwünscht. Und der Meta-Chef Mark Zuckerberg wünscht mehr männliche Energie in seiner Firma. Woher kommt diese Abneigung gegen das Weibliche?

Wenn Worte wie weiblich verboten werden, ist das sehr gefährlich. Diese Männer versuchen, Teile der Gesellschaft unsichtbar zu machen. Ich denke, dass damit ein Bedürfnis von konservativen Wählergruppen bedient wird, selbst mehr gesehen zu werden. Aber wenn man Frauen das Gefühl gibt, sie hätten keinen Platz mehr, haben sie weniger Mut, sich zu exponieren. Das wäre ein grosser Rückschritt. Was mich da auch beunruhigt, sind die Unternehmen, die sich plötzlich weniger offen für Diversität zeigen.

Sie sprechen Unternehmen wie UBS und Roche an, die nach Trumps Wahl ihre Programme für mehr Diversität abgebaut haben.

Ich möchte nicht ein bestimmtes Unternehmen herausgreifen. Aber wie schnell die Diversitätsprogramme eingestellt wurden, das war schon überraschend und enttäuschend.

Aber warum soll es Aufgabe der Unternehmen sein, Diversität zu fördern?

Unternehmen sind Arbeitgeber. Sie beschäftigen Leute und bilden ein soziales Ökosystem, das Teil der gesamten Gesellschaft ist. Unternehmen tragen deshalb eine Verantwortung.

Auch unter Jugendlichen werden maskulinistische Tendenzen beobachtet. Haben Sie per Zufall die Netflix-Serie «Adolescence» gesehen?

Nicht per Zufall, sondern sehr bewusst. Es gab so viele Leute, die darüber sprachen, das musste ich mir auch anschauen.

Es geht um einen jungen Mann, der eine Mitschülerin tötet . . .

Der Knabe ist gerade einmal 13 Jahre alt. Die Serie zeigt, warum Gewalttäter heute immer jünger werden. Kinder sind in den sozialen Netzwerken schon früh mit Pornografie, Gewalt und Belästigung konfrontiert. Der Skandal ist, dass das Geschäftsmodell der sozialen Plattformen zu einem gewissen Teil darauf basiert, diese extremen Inhalte zu pushen. Da müssen wir wirklich mehr dagegen tun.

Regulieren, vielleicht?

Ja.

Der Bundesrat wollte die Opfer ja besser schützen und die Plattformen zwingen, mehr gegen Online-Gewalt zu tun. Doch das Geschäft wurde mehrmals verschoben. Scheut sich der Bundesrat, weil er Trump und die Tech-Chefs nicht verärgern will?

Nein. Das ist kein Einknicken vor Trump oder sonst wem. Wir wollen nochmals prüfen, welche Regeln für die Plattformen genau gelten sollen, und werden uns wohl Ende Jahr wieder damit befassen.

Offenbar sind einige Errungenschaften der Gleichstellung infrage gestellt. War die Gleichstellungspolitik erfolglos?

Im Gegenteil. Früher konnten Frauen nicht einmal eine Anzeige machen, wenn sie von ihrem Ehemann vergewaltigt wurden. Heute sind die Frauen freier und autonomer. Jetzt müssen wir aufmerksam sein, dass sich das nicht wieder umkehrt.

Was machen Sie als Gleichstellungsministerin dafür? Man hat dazu bisher wenig von Ihnen gehört zu diesem Thema.

Man wird bald mehr hören. Wir planen ab November eine grosse landesweite Kampagne, um gegen Gewalt an Frauen zu sensibilisieren. Dabei möchten wir bekannte Persönlichkeiten als Botschafterinnen und Botschafter einsetzen, die klar sagen: Gewalt ist nicht akzeptabel.

Es wird viel gestritten darüber, ob es sich bei der Gewalt an Frauen um ein Ausländerproblem handelt. Wen wollen Sie ansprechen?

Alle. Es ist eine Verkürzung, zu sagen, Gewalt gegen Frauen sei nur ein Problem der Migration. Eben erst zeigte eine Studie zu Schusswaffengewalt, dass die Täter mehrheitlich ältere Schweizer Männer sind, die eine Waffe zu Hause haben.

Seit Anfang Jahr wurden 14 Frauen von Männern aus ihrem Umfeld getötet. Reicht da eine Kampagne?

Die Zunahme der Femizide in diesem Jahr ist schockierend. Ich habe darum kürzlich den Anstoss gegeben für eine Sondersitzung des Ausschusses der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen, um den Austausch über Gegenmassnahmen zu verstärken. Die Sitzung soll im Juni stattfinden.

Auch bei den Renten fordern Frauenverbände Verbesserungen. Seit dem Nein zur Pensionskassenreform im Herbst, welche die Löhne vieler Frauen besser versichert hätte, ist das Thema vergessen. Wie geht es weiter?

Die Zeit für einen grossen Wurf ist vorbei. Wir haben seit der Abstimmung mit allen Interessengruppen gesprochen – niemand will eine neue Grossreform. Wir werden aber prüfen, wie wir tiefe Löhne und Löhne aus mehreren Teilzeitjobs besser versichern können. Davon profitieren vor allem Frauen.

Um eine grosse Reform geht es dafür bei der AHV, die ab 2027 in die roten Zahlen zu rutschen droht. Wie wollen Sie das verhindern?

Es wird Mehreinnahmen brauchen, sei es über Lohnbeiträge oder die Mehrwertsteuer. Wir müssen die AHV finanzieren für die Jahre, in denen die letzten Babyboomer in Rente gehen. Das Gute ist: Diese Welle ist in rund zehn Jahren vorbei, dann flacht das Ausgabenwachstum wieder ab. Parallel dazu müssen wir die AHV modernisieren. Wir wollen prüfen, ob wir das Rentenalter abstufen können, etwa für Personen, die körperliche Schwerarbeit leisten.

Wäre es nicht nötig, das Rentenalter zu erhöhen?

Die Stimmbevölkerung hat eine Initiative der Jungfreisinnigen für ein höheres Rentenalter vor einem Jahr mit fast 75 Prozent abgelehnt. Wir brauchen dringend eine mehrheitsfähige Reform, sonst geraten die AHV-Finanzen in grosse Probleme.

Sie haben einmal gesagt, Sie wollten nur bis zum Pensionsalter Bundesrätin sein. Wenn Sie das Rentenalter erhöhen, dürfen Sie etwas länger im Amt bleiben. Das wäre doch ein Anreiz?

Ich habe nach meiner Wahl gesagt, ich werde aufgrund meines Alters eine Bundesrätin des Übergangs sein. Nun stelle ich fest, dass meine Kolleginnen und Kollegen alle etwa gleich alt sind. Also sind wir wohl alle Bundesräte des Übergangs.